Die deutsche Solarindustrie hat wechselhafte Zeiten hinter sich. Viele Hersteller der ersten Stunde sind heute insolvent. Doch mittlerweile gibt es eine neue Generation an Start-ups, die in enger Kooperation mit Forschungseinrichtungen wie der HTWK Leipzig neue Geschäftsmodelle vorantreibt.
Vor 21 Jahren begann in Deutschland der Siegeszug der Solarenergie. Damals, zum 1. April 2000, trat das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Kraft. Dank dieser staatlichen Förderung stieg der Beitrag regenerativer Energien zum Gesamtstromverbrauch von damals sechs auf stolze 45 Prozent im Jahr 2020. Etwa ein Fünftel davon entfällt auf Solarstrom. In den Anfangsjahren bescherte die steigende Nachfrage nach Solartechnik deutschen Unternehmen ein rasantes Wachstum. Doch aufgrund zunehmender internationaler Konkurrenz und sinkender Förderung brach die deutsche Solarindustrie 2012 zusammen. Innerhalb von zwei Jahren ging mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze verloren. Heute wird nur noch ein verschwindend geringer Anteil an Solarmodulen in Deutschland produziert.
„Trotzdem ist die Solartechnologie ein voller Erfolg. Innerhalb weniger Jahre sind Solarmodule für Privatpersonen erschwinglich geworden. Und erst vor kurzem wurden in Spanien und in Deutschland die ersten Solarparks eröffnet, die ganz ohne staatliche Förderung errichtet wurden“, so Jens Schneider, Professor für Vernetzte Energiesysteme an der HTWK Leipzig. Außerdem hat die Krise neue Unternehmen hervorgebracht, die am weltweit anhaltenden Boom teilhaben. Sie haben sich spezialisiert auf forschungs- und entwicklungsintensive Bereiche, unter anderem Messsysteme zur Qualitätskontrolle.
Sonnensimulatoren aus Leipzig
Zu dieser neuen Generation an Solarunternehmen gehört Wavelabs. Das Leipziger Unternehmen hat sich auf die Fertigung von Sonnensimulatoren spezialisiert. Dabei handelt es sich um spezielle Lampen, die das Lichtspektrum der Sonne nachbilden. In jeder Solarzellenfabrik steht mindestens ein Sonnensimulator für die Qualitätskontrolle. Vor dem Verkauf wird jede produzierte Solarzelle daraufhin geprüft, wie viel elektrische Energie sie aus Licht gewinnen kann. „Dazu wird die Zelle oder das Modul mit einer Art künstlicher Sonne beleuchtet, die resultierende Strom-Spannungs-Kennlinie gemessen und der Wirkungsgrad ermittelt. Die Beleuchtungssituation muss für jede Zelle identisch sein, um diese vergleichen zu können. Sie entspricht etwa der Helligkeit eines klaren, sonnigen Sommertags in Deutschland“, erklärt Dr. Torsten Brammer, Geschäftsführer von Wavelabs. Der so ermittelte Wirkungsgrad entscheidet maßgeblich über den erzielbaren Verkaufspreis der Solarzelle.
Herkömmliche Sonnensimulatoren nutzen als Leuchtmittel eine Xenonlampe. Weil die Farbtemperatur dem Tageslicht recht nahe kommt, wird dieser Lampentyp beispielsweise auch in Fotoblitzanlagen verwendet. Doch was für die Fotografie ausreicht, ist für die Vermessung von Solarzellen ziemlich ungenau. Das Lichtspektrum weicht in seiner Verteilung bis zu 25 Prozent von der definierten Norm eines klaren, sonnigen Tages ab. Diese Abweichung reduziert die Genauigkeit der Wirkungsgradbestimmung einer Solarzelle. Die Simulatoren von Wavelabs hingegen nutzen 21 verschiedenfarbige LEDs, um das Sonnenlicht möglichst genau über das gesamte Spektrum nachzubilden. „Wir erreichen damit eine Normabweichung von nur fünf Prozent“, so Brammer. Für Solarzellenhersteller bedeutet das: Sie können Käuferinnen und Käufern von Solaranlagen genauer vorhersagen, wie viel Solarstrom sie produzieren werden.
Ziel: Sonnenlicht mit LEDs imitieren
Doch ein Problem tritt sowohl bei Xenonlampen als auch bei LEDs auf: Das Lichtspektrum verändert sich in Abhängigkeit der Temperatur. Grob gesagt: Je wärmer die Lampe, desto rötlicher das Licht. In einer modernen Solarfabrik wird der Sonnensimulator mehrmals pro Sekunde ein- und ausgeschaltet; Temperatur und Lichtspektrum verändern sich permanent. Wie eine temperaturabhängige, unmittelbare Nachregelung des Lichtspektrums möglich ist, hat ein Wissenschaftlerteam der HTWK Leipzig zusammen mit Wavelabs und dem Fraunhofer-Institut für Silizium-Photovoltaik (Fraunhofer CSP) in Halle drei Jahre lang erforscht.
Das Zustandekommen des Projekts ist maßgeblich Jens Schneider zu verdanken. Als Doktorand lernte er auf der Weltsolarkonferenz 2003 Torsten
Brammer kennen, der auf einem ähnlichen Gebiet forschte. Kurze Zeit später zogen beide nach Bitterfeld. Schneider wurde Forschungsingenieur beim Solarmodulhersteller CSG Solar, Torsten Brammer fing bei Q Cells an. Als die Solarindustrie in die Krise geriet, gründete Brammer Wavelabs, Schneider wechselte zurück in die Wissenschaft: Erst als Gruppenleiter zum Fraunhofer CSP und dann 2014 als Stiftungsprofessor an die HTWK Leipzig. „Über die Jahre haben Torsten Brammer und ich stets Kontakt gehalten. Da lag es nahe, ein gemeinsames Forschungsprojekt zu starten“, so Schneider. Für das Projekt holte er außerdem seinen HTWKKollegen und Messtechnikspezialisten Prof. Mathias Rudolph ins Boot.
Gemeinsam untersuchten die Wissenschaftler den sogenannten Drift, also die Farbveränderung der verschiedenen LEDs in Abhängigkeit ihrer Temperatur, und erstellten darauf aufbauend ein mathematisches Modell. Doktorand Julian Hofbauer erzählt: „Dieses Modell habe ich anschließend in eine Simulationsumgebung integriert. Damit konnte ich einen Regelungsalgorithmus entwickeln, der die verschiedenen LEDs automatisch zuschaltet oder dimmt, um trotz Temperaturschwankungen stets möglichst nahe an das Lichtspektrum der Sonne heranzukommen.“ Die entstandene Reglung steuert alle zwei Millisekunden die Helligkeit der 21 LEDs individuell nach. „Durch sogenannte Fuzzy-Algorithmen werden Unsicherheiten in der Bewertung der gemessenen Daten erkannt. Die Nachregelung wird damit besser und realitätsnaher“, ergänzt Rudolph.
Wavelabs arbeitet nun daran, die Ergebnisse des Forschungsprojekts in die Software seiner Sonnensimulatoren zu integrieren. „Außerdem planen wir gemeinsam mit der HTWK Leipzig bereits ein neues Forschungsprojekt. Darin wollen wir untersuchen, inwieweit aus auffälligen Messwerten in der Qualitätskontrolle auf Fehlerursachen in der Produktion rückgeschlossen werden kann“, so Brammer.
Fehler analysieren
Zwischen dem in der Fabrik unter Laborbedingungen gemessenen Wirkungsgrad und der tatsächlich erzielten Strommenge auf einem Hausdach oder im Solarpark können sich erhebliche Abweichungen ergeben. Die Gründe hierfür sind vielfältig, erklärt Stephan Schönfelder, Professor für Simulation energetischer und technischer Systeme an der HTWK Leipzig: „Zuallererst scheint die Sonne eben nicht immer so kräftig wie an einem klaren Sommertag. Außerdem können Staub und grobe Verschmutzungen die Leistung der Solarmodule beeinträchtigen. Aber es passiert eben auch, dass in der Verarbeitung von Solarzellen zu Solarmodulen oder durch Belastungen wie Wind und Schnee im späteren Lebenszyklus Lötstellen brechen oder andere technische Defekte entstehen.“ Laut einer Studie des Bayerischen Zentrums für Angewandte Energieforschung von 2017 betrifft das rund sechs Prozent der in Deutschland installierten Anlagen. Um solche technischen Defekte zu erkennen, haben drei Wissenschaftler des Fraunhofer CSP sich 2018 mit dem Start-up Denkweit selbstständig gemacht. Sie entwickeln Messgeräte, die elektrische Ströme in Solarzellen und Batterien anhand ihres Magnetfelds erkennen und visualisieren. Die Idee dahinter: Jedes stromdurchflossene Bauteil, also auch ein Solarmodul, erzeugt ein eigenes Magnetfeld. Verändert sich der Stromfluss, ändert sich zugleich das Magnetfeld.
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt entwickelt die HTWK Leipzig zusammen mit Denkweit und vier weiteren Partnern seit Juli 2019 das Messverfahren weiter. „Damit der Sensor des Messgeräts erkennt, um was für einen Fehler es sich handelt, simulieren wir an der HTWK Leipzig verschiedene Fehlerszenarien am Computer. Aus dem Vergleich mit den selektiven Signalen des Sensors können wir Rückschlüsse auf die direkte Fehlerquelle ziehen“, sagt Schönfelder. Mit den von der HTWK Leipzig bereitgestellten Daten konnte Denkweit den Sensor bereits auf seine Genauigkeit testen.
Im Sommer 2020 folgte der erste Feldtest in Solarparks. „Die vielen neuen Messdaten helfen, die Simulationsmodelle weiterzuentwickeln und die Fehlermechanismen besser zu verstehen“, sagt Dr. Kai Kaufmann, operativer Geschäftsführer von Denkweit. „Damit unterstützen wir die Verbesserung des Messverfahrens“, ergänzt Schönfelder. Im Forschungsprojekt soll der Sensor mit einem Reinigungsroboter für Solarmodule verknüpft werden. Während der Roboter die Module reinigt, soll der Sensor parallel erkennen, ob das Modul noch ordnungsgemäß funktioniert. Der Sensor kann aber auch in einem Handgerät oder Prüfroboter verbaut werden, sodass das Messgerät an möglichst vielen verschiedenen Solaranlagen eingesetzt werden kann. Im Gegensatz zu bisherigen Prüfmöglichkeiten kann mit dem neuen System direkt an der Anlage die Funktionalität getestet werden – ohne Module abzubauen und ohne den Anlagenbetrieb zu unterbrechen. Bis Februar 2022 soll das Forschungsprojekt abgeschlossen werden. Der Reinigungsroboter mit integriertem Messsensor soll dann auf den Markt kommen.
Aufschwung dank Forschung
Die Forschungsexpertise der HTWK Leipzig im Bereich Photovoltaik ist mittlerweile auch über die Grenzen Mitteldeutschlands hinaus bekannt. So kooperiert Stephan Schönfelder in einem weiteren Projekt mit dem Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme und süddeutschen Sondermaschinenherstellern, die Produktionsequipment für Solarzellenfabriken auf der ganzen Welt anbieten. Und auch Mathias Rudolph forscht gemeinsam mit einem bayerischen Sondermaschinenhersteller, der auf den Bau von Solarparks in Wüstenregionen spezialisiert ist.
Fazit: In Deutschland werden zwar fast keine Solarzellen mehr hergestellt. Doch das Fachwissen, die jahrelange Erfahrung und die gute Vernetzung zwischen Wissenschaft und Praxis hierzulande sorgen nun für einen neuen Aufschwung von Unternehmen. Ihre wissensintensiven Technologien exportieren sie in die ganze Welt und lassen so die Solarindustrie wie Phönix aus der Asche neu auferstehen. Damit leisten sie einen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels und zur Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Prof. Dr. Mathias Rudolph (*1968) ist seit 2013 Professor für Industrielle Messtechnik an der HTWK Leipzig. Bereits zuvor befasste sich der promovierte Elektrotechnik-Ingenieur von 2006 bis 2013 bei Siemens in Erlangen mit der Simulation und Energieeffizienz von Werkzeugmaschinen.
Prof. Dr. Jens Schneider (*1975) war von 2014 bis 2019 Stiftungsprofessor für die Mechanik von Werkstoffen der Photovoltaik, anschließend Honorarprofessor für Energiesystemtechnik und ist seit 2021 Professor für Vernetzte Energiesysteme an der HTWK Leipzig. Zuvor forschte er am Fraunhofer Center for Economics of Materials und war von 2011 bis 2018 Gruppenleiter für Solarmodultechnologie am Fraunhofer CSP. Vor seinem Wechsel in die Wissenschaft war Schneider sechs Jahre lang in der Solarindustrie tätig.
Prof. Dr. Stephan Schönfelder (*1980) ist seit 2014 Professor für Simulation energetischer und technischer Systeme an der HTWK Leipzig. Zuvor forschte der promovierte Maschinenbau-Ingenieur zehn Jahre lang am Fraunhofer CSP und Fraunhofer IMWS in Halle zur mechanischen Zuverlässigkeit von Produkten der Silizium-Photovoltaik und Halbleiterindustrie.
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2020/21 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.
Autorin: Dr. Rebecca Schweier